Philoktet, geschrieben 1958/1964 und uraufgeführt 1968 am Münchner Residenztheater, ist eines der bekanntesten und wichtigsten Stücke des Autors. Diese Ausgabe gestattet den Vergleich mit der'Vorlage', auf die Heiner Müller (1929-1995) antwortete: Sophokles Philoktet, uraufgeführt 409 vor Christus in Athen.
Erstes Buch: Mit der vorliegenden kommentierten Neuübertragung, in Gegenüberstellung mit dem griechischen Text, hat Jean Bollack eine deutsche Fassung der antiken Tragödie geschaffen, die neuesten textkritischen Untersuchungen Rechnung trägt und die den spezifischen Stil des Stücks erkennen läßt. Seit Freud hielt man sich an den Inzest und den dazugehörigen Vatermord. Man konstruierte den Mythos so, daß diese Handlung in ihm als eine zentrale Erfahrung der menschlichen Psyche erschien. Im Gegensatz dazu hält sich die neue Untersuchung von Jean Bollack an das Bühnenwerk als literarischen Text. Sie versucht, den Mythos so darzulegen, wie die Struktur des Dramas ihn voraussetzt. Eine Familie verweigert jeden fremden Einfluß und zerstört sich auf diese Weise selbst. Eine Machtkonstellation löst sich auf. Nichts bleibt bestehen außer dem Blick auf das grauenvolle Geschehen dieser Auflösung. <br />Zweites Buch: Die im vorliegenden Band versammelten "Essays" halten der gängigen, auf den Menschen als solchen ausgerichteten Vorstellung die Logik einer besonderen Geschichte von wahnhafter Abgeschlossenheit entgegen, die Sophokles zu seiner Tragödie "König Ödipus" ausgestaltet hat.